Gekreuzte Geschichten
Plakatausstellung mit Arbeiten von Thomas Fatzinek.
Mexikoplatz März – Oktober 2018

Jedes Bild ist eine Tür zu einer Geschichte.

Jede Geschichte ist eine Kreuzung.

Jede Kreuzung führt in verschiedene Richtungen in Raum und Zeit.

Der Mexikoplatz ist ein Erinnerungsort. Seinen Namen verdankt er dem Protest Mexikos gegen den sogenannten "Anschluss" im März 1938, als das Deutsche Reich Österreich annektierte. Doch wie jedes historisch wichtige Ereignis wird auch dieses erst bedeutsam durch das, was vorher war, und das, was nachher kam. Es müssen nicht unbedingt direkte Ursachen und Folgen sein, die man gleich als solche erkennt. Manchmal sind die Zusammenhänge der Geschichte erst auf den zweiten Blick zu verstehen, aber deshalb sind sie nicht weniger wichtig.

 © Thomas Fatzinek Menschen am Mexikoplatz. Detail aus Linolschnitt
Menschen am Mexikoplatz. Detail aus Linolschnitt
© Thomas Fatzinek

Die Bilder von Thomas Fatzinek erzählen daher nicht nur von 1938 und der Nazi-Herrschaft. In vier Abschnitten zeigen sie Kreuzungen, Vor- und Nachgeschichten, die vom Mittelalter in die Gegenwart führen. Dabei geht es um persönliche Schicksale ebenso wie um die Geschichte ganzer Länder, um Arbeiterinnen und Soldaten, um Frauen und Männer auf der Flucht und um andere, die ihnen halfen. Um Forscherinnen und Politiker. Um Kinder in der Fremde. Und um vieles mehr.

Denn auf dem Mexikoplatz haben auch andere Geschichten ihre Spuren hinterlassen:

  • das Rote Wien der 1920er und 1930er Jahre mit den mächtigen Gemeindebauten und anderen sozialen Reformen;
  • die Nazi-Zeit voller Mord, Raub und Vertreibung;
  • nach 1945 die Rückkehr der Geflüchteten aus dem Exil in fernen Ländern;
  • die Ankunft von Gastarbeiter_innen in den 1960er und 1970er Jahre;
  • etwas später die Einwanderung von Jüdinnen und Juden aus der Sowjetunion;
  • und zuletzt die Flüchtenden aus Afrika und dem Nahen Osten.

All diese Kreuzungen von Geschichte und Erinnerung machen den Mexikoplatz zu einem globalen Ort.

Der Protest vom 19. März 1938 war nämlich nicht nur wichtig für Österreich, sondern erzählt uns auch viel über die Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Das kleine Österreich verschwand von der Landkarte und das ferne Mexiko, das eben erst aus einer eben aus einer langen Revolution hervorgegangen war, protestierte dagegen. Dabei hätte es genug mit sich selbst zu tun gehabt: Gerade erst  warals neues Land aus einer langen Revolution hervorgegangen und versuchte sich selbst gegenüber dem mächtigen Nachbarn USA zu behaupten. Mexiko stand fast allein auf der Welt, als es seine Protestnote an den Völkerbund – den Vorgänger der heutigen UNO – schickte.

Fast zwei Jahrzehnte später, 1956, benannte die Stadt Wien den Platz im Gedenken an diese Geste der Solidarität gegen Hitler und Nazi-Deutschland – ein Gedenken daran, dass es selbst in den auswegslosesten Momenten eines Landes Freunde gibt. Auch wenn der Akt der mexikanischen Regierung kaum unmittelbare Wirkung hatte, so ist er in der Geschichte Österreichs doch von Bedeutung: Jemand hat damals zu uns gehalten!

Hier erzählen wir eine vielfach verknüpfte Geschichte von Kämpfen um Demokratie und Gerechtigkeit bei uns und anderswo, von Verfolgung, Widerstand, Flucht und Exil in Österreich und in Mexiko. Denn der symbolische „Erinnerungsort Anschluss 1938“ und der physische „Gedächtnisort Mexikoplatz“ stehen beide in einem globalen historischen Kontext und haben mit aktuellen gesellschaftlichen Debatten zu tun. Jede unser Geschichtskreuzungen birgt ungeahnte Zusammenhänge zwischen verschiedenen Orten und weit auseinander liegenden Zeiten.