898 +7
Ein Filmprojekt von Sara Fattahi

898 +7 ist eine Bild- und Soundkomposition aus Sara Fattahis Kommunikation mit ihrer Familie seit dem Zeitpunkt des Verlassens Damaskus vor 898 Tagen nach Wien. Der Film ist ein sich zwischen Sehnsucht und Zugehörigkeit ansiedelnder Dialog, eine audiovisuelle Botschaft, ein Austausch zwischen zwei Städten: Damaskus und Wien.

 © Sara Fattahi Still aus 898 +7
Still aus 898 +7
© Sara Fattahi

Auswandern, Auswanderung, Ausgrenzung, Vertreibung, Entfremdung, Einwanderung, all diese Wörter haben dieselbe Bedeutungsherkunft: „Exil“.

Als ich gezwungen war, Syrien zu verlassen, oder vielmehr, als ich den Mut fasste, zu fliehen, hatte ich das Gefühl, diese mir unbekannte Außenwelt würde mich verschlingen, als ob das Universum zusammenstürzen würde. Erst im Nachhinein wurde ich mir schmerzhaft dieser mich mit meinem Heimatland verknüpfenden Verbundenheit gewahr, die abgetrennt, nicht mehr vorhanden war.

 © Sara Fattahi Still aus 898 +7
Still aus 898 +7
© Sara Fattahi

Woher komme ich?

Manchmal zögere ich zu antworten, dass ich Syrerin bin. Ich erträume mir gelegentlich, die Wahrheit zu ändern und meine Identität auszulöschen, und stattdessen zu sagen ich sei aus Portugal, oder sogar aus Brasilien. Ganz gleich, Hauptsache ein Kontinent der weiter weg ist als Asien, wo Syrien liegt. Oftmals bin ich zerrissen mit der Definition, eine Geflüchtete zu sein, als ob das ein Makel wäre.

Der Akt von Selbstidentifikation stürzt eine/n in eine Krise, denn Selbstidentifikation benötigt jemanden, die oder der eine/n von anderen unterscheidet.

Vor einigen Monaten habe ich das Ende meines zweiten Jahres in Wien verbracht, wo ich die meiste Zeit schweigsam war, da ich versuchte, meine Lage im neuen Exil zu verstehen. Exil kommt hierzulande auch einer Sprache gleich. Ich spreche noch nicht ausreichend Deutsch. Arabisch bedeutete auch meine Heimat; mir ist es nicht möglich, in einer anderen Sprache zu schreiben, geschweige denn zu denken.

Ich wurde entwurzelt von meiner sozialen und politischen Umgebung, in der ich aufwuchs. Ich teile keine Geschichten mit den Bewohner_innen dieses Landes. Keinerlei Verbindung existiert, die uns zusammenführen könnte. Sie denken, verstehen, essen, handeln und fühlen gänzlich anders.

Die Entfremdungserfahrung stellte nicht Tragisches für mich dar; Nostalgie und Überlebensfragen waren vorrangig in meinem neuen Leben.

Ich fühlte, dass meine starke Verbundenheit zu meinen persönlichen Erinnerungen oder zu unseren kollektiven Erinnerungen eine grundlegende Ursache für mein Entfremdungsgefühl war.

 © Sara Fattahi Still aus 898 +7
Still aus 898 +7
© Sara Fattahi
 

Wer bin ich?

Diese Frage drängt sich im Exil dann auf, wenn die exilierte Person erkennt, dass sie auf sich allein gestellt und ohne Verteidigung ist. Das Individuum ist von anderen getrennt.

Die Kommunikation mit meiner Familie war und ist immer noch sehr wichtig, die Bilder und Klänge, die sie mir geschickt hat, waren ein sicherer Zufluchtsort für mich. Ich besitze eine Welt, die sich zur Gänze parallel abspielt zu meiner derzeitigen Welt in Wien; der Ort, an dem ich wohne und horche ist meine vorige Welt in Damaskus, wo meine Familie auch jetzt noch lebt.

Während Alltagsereignisse wie selbstverständlich in der Gegenwart vor sich gehen, werden sie von der Vergangenheit eingeholt und von ihrem Abspielort verdrängt. Die Vergangenheit breitet sich aus, sie erscheint größer als die Gegenwart, bis sie fast verschwindet, oder zu irgendetwas Bedeutungslosem verkümmert.

Jene Bilder und Klänge waren mein einziger Weg zu überleben, und wertvolle Wege, Entfremdung zu überwinden oder sich wie ein/e Außenseiter/in zu fühlen.